Auch ich war mal klein und so um die 8 oder 9 Jahre alt. Meine Mutter hatte eine Ballettschule und ich ging einmal in der Woche zum Ballettunterricht.

Jedoch: 

Jede Woche war es das gleiche Drama: „Scheiß Ballett, wieso muss ich immer ins Ballett gehen und alle anderen nicht?“ Mit meiner Freundin spielen oder sonstige schöne Dinge tun – das alles war an einem Tag in der Woche nicht möglich: denn da war die Ballettstunde und keine Ausrede der Welt half. Meine Mutter fand, dass Dinge die begonnen wurden, auch durchgezogen werden müssen. Auch wenn es zwischenzeitlich schwer fallen sollte.

Mit 8 Jahren aber war ich mit meiner Mutter in einem Ballettladen in München. Ich mochte Ballettläden. Weil es darin so gut nach Ballettschuhen roch. Es war ein Gemisch aus Leder mit Klebstoff. Heute riechen Ballettläden nicht mehr so. Ich schätze die Art von Klebstoff wurde längst verboten.

Vor dem Tutu in der Mitte des Verkaufsraumes - mit wirkungsvoller Aufmachung -erstarrte ich in grenzenloser Bewunderung:  so wertvoll wunderbar unerreichbar, nie hätte ich gewagt zu fragen, ob ich ein Tutu haben darf. Aber ich hatte etwas anderes gefunden: ein schwarzer Ballettanzug hatte offenbar Eindruck auf mich gemacht. Nichts Besonderes. Einfach schwarz, Spaghetti-Träger, Baumwolle/Elasthan-Gemisch. Keine Raffung, kein Rock. Keine Ahnung was ich an dem Trikot fand. Vielleicht war es die Farbe. „Mami, den möchte ich haben. Bitte, kauf ihn mir!“

Meine Mutter schaute den Anzug an und meinte dann: „Was willst du denn damit? Ballett  findest du doch sowieso doof! Und wenn du nur einmal in der Woche ins Ballett gehst, brauchst du auch nicht zwei Ballettanzüge!“

Aber ich wollte diesen Anzug unbedingt haben. Da bot mir meine Mutter einen Deal an: „Wenn du 2x pro Woche in den Ballettunterricht gehst, dann bekommst du ihn.“Ich war sofort einverstanden und hochzufrieden, als wir mit dem Trikot den Ballettladen verließen.

Und ich hielt mich an mein Versprechen. Ich nahm 2x in der Woche Ballettunterricht. Und dann passierte es: Ich wurde besser und plötzlich wollte ich Ballett tanzen und Ballerina werden.

So gesehen hat also dieser eine Ballettanzug mein ganzes weiteres Leben beeinflußt. Ohne diesen Ballettanzug wäre ich nicht Ballett-Tänzerin geworden, ich  wäre nicht mit meinem Mann verheiratet, ich hätte nicht genau diese vier Kinder und es gäbe kein Dance Line. Ok – dass ich mit meinem Mann verheiratet bin ist auch ein Verdienst Gorbatschows – unter anderem...
Unglaublich, was also so eine eher unscheinbare Sache bewirken kann. Fast ein bisschen gruselig.

Also: Passen Sie auf, welche Deals Sie ihrer Tochter anbieten: Es könnte weitreichende Folgen haben! 


Julia Georgiew